Gegen Krieg, Hilflosigkeit und Einsamkeit – im Leben, im Arbeiten, im Wirken

28.02.2022

Eigentlich war ich endlich dabei, meinen Blog zum Thema “Zeitgemäßes Erzählen” hier zu starten. Doch die Nachricht, dass gute zwei Flugstunden entfernt von mir brutal ein Angriffskrieg angezettelt wurde, macht erstmal alles andere unwichtig in diesen Tagen. Wir, das sind meine Familie, meine Freundinnen und Kolleg*innen, meine Nachbar*innen auch, sind in Gedanken bei den bedrohten Menschen in der Ukraine. Dieses Gefühl der Sorge und Anteilnahme hat die Lesung von Texten bedrohter Autor*innen am 26. Februar im Gorki Theater in Berlin noch bestätigt: Eines von vielen berührenden wortstarken Zeichen der Verbindung mit den Ukrainer*innen im Kriegsgebiet und abroad und auch mit denjenigen Russ*innen, die von ihrem verbrecherischen Präsidenten entgegen ihrer eigenen Haltung als “notwendig Angreifende” vereinnahmt wurden und werden. Wir alle denken an die Opfer von Krieg und Vertreibung und wünschen ihnen und uns von Herzen Frieden! Und nehmen all diejenigen in unsere Gedanken mit hinein, die anderswo, d.h. weiter von uns entfernt, ebenso bedroht sind und leider als schon zum Alltag gehörend oft vergessen werden.

Gestern auf der Demo zwischen Brandenburger Tor und Friedensengel fühlte ich mich bitter daran erinnert, dass ich als Teenie und junge Erwachsene regelmäßig auf Friedensdemos unterwegs war. Das bildete geradezu ein gemeinschaftliches Ritual in den Jahren der Aufrüstung gegen die Sowjetunion in den 70er und 80er Jahren des letzten Jahrhunderts – mit sehr großer Offenheit untereinander. Während einer Schweigeminute gegen den 2. NATO-Doppelbeschluss weinte eine Dozentin in ihrer Vorlesung.  Später in den 1990ern glaubte ich für meine Kinder ganz  sicher, dass sie nicht mehr gegen Aufrüstung und Krieg zu demonstrieren brauchten. Und nun planen wir wieder Aufrüstung zur Friedenssicherung. Ich stelle traurig für mich in Frage, ob alles damals umsonst war, ob sich Geschichte derart böse wiederholen muss …

Dabei fühle ich mich in all meiner Hilflosigkeit auch herausgefordert, über Spenden und Demonstrationen gemeinsam mit Gleichgesinnten hinaus in dem weiter zu wirken, was meine Profession und Leidenschaft sind … Ich verzweifle nicht, ich arbeite weiter, weil ich glaube, dass Haltung zu zeigen nie umsonst ist. – Meine Freundin und Kollegin Xenia hatte vor einer Woche über Schreibnöte geschrieben und insbesondere über die Einsamkeit im Beruf. Ich finde, dies passt sehr gut zu jedwedem Aufruf zu Solidarität und Gemeinschaft. Und statt meiner Antwort an sie direkt, versuche ich hier eine:

Denn ich gestehe, in diesen beiden abgeschotteten Corona-Jahren und vorher bereits in vielen Krisenzeiten von Kriegen, Flucht, Umweltkatastrophen, d.h. in Situationen von Einsamkeit und Hilflosigkeit, hat mich immer meine Zusammenarbeit mit jungen und alten Geschichten Erzählenden und mit unermüdlichen, enthusiastischen Filmschaffenden getröstet und neu ermuntert. Alle, die weitererzählen in Worten und Bildern oder die lernen wollen, wie man noch konkreter, anteilnehmender, einfühlsamer und breiter über das Menschsein und unsere Zukunft schreiben oder filmen kann, trösten mich. Weil sie sowohl Hoffnung verbreiten durch ihr Tun, als auch sich selbst offen zeigen in dem, was ihnen als Menschen wert und wichtig ist.

Vieles an dieser Arbeit wird im Rückzug, im sogenannten stillen Kämmerlein geleistet (auch ohne Corona), weil Reflexion und Nachdenken wie Nachfühlen allein dazu oftmals zwingend notwendig sind. Das spüre ich selbst als eher introvertierte Person auch. Doch letztlich bin ich doch froh und erleichtert, wenn ich statt eigener Schreibe die anderen bei ihrer Arbeit im Dialog oder mehrstimmigen Austausch begleiten kann. Wenn wir zusammen an einem Tisch sitzen oder auch spazieren und sinnieren, laut nachdenken, auch ringen um die bestmögliche Erzählweise von Geschichten, die mindestens viele, wenn nicht alle, angehen.

Ja, als Autorin allein fühle ich mich einsam.

Deshalb arbeite ich mit Co-Partner*innen, mit Lektor*innen, mit freundschaftlich und professionell Gegenlesenden und –sprechenden. Ich glaube, ehrlich gesagt, auch nicht an die perfekte Fassung eines Textes, die im Alleingang entsteht. Ich glaube an Zwischenfassungen, an fokussiertes Feedback wie konstruktiven, manchmal abseitigen Input, an fremde Anregungen und Korrekturen, an all die guten Helfenden, die aus vollem Herzen und professionellem Ethos zum finalen Werk beitragen – egal, ob das ein Aufsatz ist oder ein fertiger Spielfilm oder ein Sachbuch oder Roman.

Gottseidank bin ich doch mehr Dramaturgin als Autorin, mehr Beraterin als allein für mich Schreibende. Wirklich aufgehoben fühle ich mich vor allem in Seminaren oder Schreibteams, wo der Austausch lebendig und herausfordernd ist – immer im Dienst der besten Geschichte, nie der einzelnen Egos. Jedes Ego ist kreativ nur so gut, wie es zur Lösung der selbst gesetzten oder gemeinsamen Aufgabe beiträgt. Und für diese Aufgabe braucht es meiner Meinung nach wirklich mehr als den oder die eine*n Erfinder*in. Ich glaube nur sehr selten an die Einzelleistungen des/der Genies. Es schien m.E. historisch nur immer einfacher, jeweils nur einen (ja, leider traditionell immer mehr Männer) zu nennen in so vielen Gemeinschaftswerken der Kunst. Insbesondere auch innerhalb meiner Branche, wo immer noch Autorenfilmer (ja, auch hier meist männlich) hervortreten oder zuvorderst genannt werden. Da ist noch viel zu tun. Da ist die Teamleistung hervorzuheben. Dies hilft dann gegen Schreibhemmungen und –blockaden auch der Einzelkämpfenden und gegen die Einsamkeit aller Kreativen in ihren Jobs.

Ich selbst sehne mich z.B. nach mehr Austausch mit Kolleg*innen, nicht in Verbänden oder auf entsprechenden thematischen Kongressen, sondern informell und regelmäßig im Arbeitsalltag. Viele, auch aus den Bereichen Regie und Kamera, erwidern diesen Wunsch. Dafür gibt es anderswo viel leichter Zugang z.B. zu Consultants und Lecturers in Los Angeles, in Budapest, in Oslo, in Paris, in Nairobi. Im deutschsprachigen Raum bleibt jede(r) eher für sich, denken auch Auftraggebende eher in Konkurrenzen als in beratenden Gemeinschaften mit unterschiedlichen spezifischen Kompetenzen, die man nutzen und zusammenführen könnte. Auch bei Stellenausschreibungen könnte man zeitgemäß mehr auf Teams als auf die Einzelposition zielen.

Darin lassen mich auch wieder meine Studierenden hoffen, die jüngst im Seminar auf meine Frage nach zukünftigen Inhalten und Themen ihrer zu entwickelnden Stoffe sofort mehr auf das WIE fokussierten als auf das WAS: Sie wollen endlich raus aus den Hierarchien des “Ein Film von …“ und der immer noch höhergestellten Regiepositionen. Sie wollen sich geschützt und unterstützt im Team in unterschiedlichen Positionen ausprobieren und dafür Verantwortung übernehmen. Sie wollen sich durchaus aus- und fortbilden in ihren jeweils fürs Studium gewählten Gewerken, aber eben auch darüber hinaus. Nehmen wir das doch ernst und lassen den Spezialisierungsgedanken einzelner, die sich als Experten einbringen, ebenso zu wie den Gemeinschafts- und Teamgedanken des inspirierenden Weiterlernens und Arbeitens. Damit sich jede*r da zurückziehen kann und da teilnehmen kann, wo es für die Projekte nötig ist. Damit Geschichten wirklich groß werden und allseits wertschätzend in Bewegung kommen.

Lasst uns hoffnungsvolle, kreative Banden bilden – in der Kunst und in der Politik.

Ein fruchtbares friedvolles Miteinander wünscht

Cornelia